Führen Friedensverhandlungen zur Vernichtung der Ukraine?
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht forderten sofortige Friedensverhandlungen im Februar. Wie gefährlich das ist und was realistische Möglichkeiten sind.
Der Krieg bleibt noch eine Weile in Europa. Kaum jemand glaubt, dass dieses Jahr die Waffen noch zum Schweigen gebracht werden können (8% Metaculus). Irgendwann wird es aber ein Ende haben und wie könnte es dann aussehen?
Auf Manifold zeigt sich, dass noch viele Möglichkeiten offen sind:
Natürlich hängt viel davon ab, wie die Kämpfe weiter verlaufen. Je nachdem verschiebt sich die Verhandlungspositionen und deswegen steckt eine große Unsicherheit in diesen ganzen Prognosen hier. Wüsste man den Ausgang schon, dann wäre ein Krieg hinfällig. Gekämpft wird immer nur, weil die beiden Kontrahenten unterschiedlicher Meinung über den Ausgang haben.
Ich habe kürzlichen die Podcastfolge Wenn die Waffen endlich schweigen – Wege zu einem stabilen Frieden in Europa gehört. Ist vom April, aber ich denke nicht, dass sich etwas geändert hat seitdem.
Im Podcast werden zwei Hauptanliegen für Friedensverhandlungen besprochen:
Sicherheitsgarantien für die Ukraine; glaubhafte Garantien, dass nicht in ein paar Jahren wieder ein Angriff erfolgt. Russland hat seine Glaubwürdigkeit verspielt, also muss die Garantie von jemand anderem kommen und sie muss vermutlich “USA” heißen.
Eindämmung (“containment”) von Russland. Die Ukraine ist nicht das einzige Land, welches Putin in einer neuen Sowjetunion sieht, und das vor Aggressionen geschützt werden sollte. Moldawien und Georgien gelten als die nächste Kandidaten.
Damit ist klar, dass es nicht wirklich eine Verhandlung zwischen Russland und Ukraine wird. Es ist ein geopolitisches Problem. Das bedeutet die Meinungen von China und USA sind vielleicht noch wichtiger. Die EU ist relevant, aber in Sicherheitsfragen haben wir kein starkes Image. Eine ganze Reihe von Ländern will vermutlich mitreden und dann geht es nicht nur um die Grenzen.
Um was geht es noch?
EU Mitgliedschaft
Die Ukraine will EU Mitglied werden. Das adressiert die Sicherheitsgarantien, denn EU Vertrag Artikel 42.7 sagt:
Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung
Ob das im Ernstfall viel hilft bezweifeln sie im Podcast alle. Und zuvor ist natürlich die Frage, ob sie überhaupt Mitglied werden. Manifold ist skeptisch (57%) für 2032.
Praktisch ist der nächste Schritt die Meinung der EU Kommission voraussichtlich im Oktober.
NATO Mitgliedschaft
In NATO Artikel 5 steht:
Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird
Darauf kann sich zum Beispiel Polen als NATO Mitglied berufen. Letzten November wurde darüber diskutiert, als Raketen in Polen statt in der Ukraine explodierten.
Manifold ist auch hier nicht ganz überzeugt (71%), dass die Ukraine Mitglied wird innerhalb der nächsten 10 Jahre.
Die Meinungen im Podcast bzgl. NATO-Mitgliedschaft schätze ich als “eher nicht”, also unter 50% ein, denn ein Beitritt soll die Sicherheit der bestehenden Mitglieder verbessern und das trifft in diesem Fall nicht zu. Stattdessen bevorzugen sie eher den Vorschlag Ukraine zu einer Art “Israel von Osteuropa” zu machen. Sprich, es militärisch so mächtig zu machen, dass Russland sich nicht mehr traut. Leider ist mir hier noch nicht klar, wie man daraus einen Prognosemarkt mit klaren Bedingungen formuliert.
Inwiefern sind diese Prognosen für Entscheidungen relevant?
Es ist ja nett über Prognosen zu plaudern, aber wirklich relevant werden sie erst wenn man Entscheidungen daraufhin fällt.
Im Februar kam die Petition Manifest für Frieden und wurde über 800.000-mal unterzeichnet. Kernforderung dort ist eine konkrete Entscheidung:
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.
Fragen wir mal die Prognosemärkte, was das für die Überlebenschancen der Ukraine bedeutet: Manifold sagt 85%, also eine 15% Chance der Vernichtung.
Zum Vergleich, in der ersten Prognose ganz oben ist die Chance “No Ukraine anymore” bei 4%. Reißerisch formuliert: Falls Deutschland das Manifest für Frieden umsetzt, wird die Vernichtung der Ukraine fast 4-mal so wahrscheinlich. Das ist eine Aussage die ich als Bundesregierung hilfreich fände, wenn ich so eine Entscheidung treffen müsste.
Ich persönlich empfinde das noch extremer. Als Ersteller des Markts habe ich ihn zu Beginn direkt auf 35% heruntergewettet. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine von Deutschland auch ziemlich sicher bedeutet, dass die USA und andere ihre Waffenlieferungen einstellen. Mit anderen Worten, es bedeutet eigentlich, der Westen lässt die Ukraine fallen. In dem Fall kann Putin die Ukraine komplett annektieren.
Die Wahrscheinlichkeit von über 80%, die ich heute morgen nun sehe hat mich überrascht. Ok, vielleicht ist eine Vernichtung der Ukraine als “zwangsläufige” Folge zu extrem gedacht. Da würde ich nun nach oben korrigieren, aber nicht so hoch. Dagegen wetten will ich aber (erstmal) auch nicht, weil es nur 8 Leute sind und ich für diesen Newsletter deren Meinung im Markt sehen will und nicht meine Eigene.
Das war Marktweise zum ersten Mal im neuen Format nach der Programmänderung. Ich würde mich über Feedback freuen, ob dieser Fokus auf ein einzelnes Thema besser oder schlechter bei dir ankommt.
Ebenfalls neu ist übrigens das Logo:
Wahrscheinlich bis nächste Woche liebe Leser! 😊
Ach, schau mal einer an: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-nato-gipfel-102.html
Die "Ukraine als Israel von Osteuropa" Idee wird wahrscheinlicher.