Entscheidungen
Mit Erdogan und Schweden erklärt, wie komplexe Entscheidungen mit vielen Leuten getroffen werden können. Bedingte Prognosemärkte heißt die Magie.
Am 4. April wurde die Aufnahme von Finnland in die NATO gefeiert.
Gleichzeitig mit Finnland wollte Schweden in die NATO und noch besteht die Hoffnung (39%), diese ebenfalls vor Juli aufzunehmen:
Voraussetzung für die Aufnahme in die NATO ist, dass alle bestehenden Mitglieder zustimmen. Zwei haben Schweden blockiert:
Spannend an der Situation ist nun, dass in der Türkei im Mai gewählt wird und es sieht schwierig (47%) aus für Präsident Erdogan:
Ich habe keine Ahnung, ob die Opposition Erdogan’s Meinung über Schweden teilt, aber eine Veränderung öffnet auf jeden Fall die Tore für andere Änderungen. Das ist hier eine gute Gelegenheit mal über eine Besonderheit zu schreiben: Bedingte Prognosemärkte (conditional prediction markets).
Es geht um zwei Ja-Nein Fragen die nacheinander entschieden werden.
Wird Erdogan wiedergewählt?
Wird Schweden aufgenommen?
Das bedeutet es gibt vier mögliche Ergebnisse:
Für die erste Frage haben wir die Wahrscheinlichkeiten oben schon gesehen: 47% vs 53%.
Für die zweite Frage haben wir oben nur die zusammengefassten Wahrscheinlichkeiten: Erdogan wiedergewählt und Schweden in NATO + Erdogan nicht wiedergewählt und Schweden in NATO: insgesamt 39%.
Um das aufzudröseln braucht es zwei Prognosemärkte:
Falls Erdogan wiedergewählt wird, wird Schweden vor Juli NATO-Mitglied sein?
Falls Erdogan nicht wiedergewählt wird, wird Schweden vor Juli NATO-Mitglied sein?
Ich hab da mal was vorbereitet:
Metaculus ist bereits einen Schritt weiter und bietet eine nette Ansicht für solche Doppelmärkte:
In diesem Beispiel geht es darum ob der Export der Ukraine 2025 wieder über Vorkriegsniveau steigt abhängig davon ob dieses Jahr noch eine Waffenruhe erreicht wird. Gut sieht es in beiden Fällen nicht aus, aber ohne Waffenruhe wird das sicher nichts.
Doch zurück zu unserem Erdogan-Schweden Beispiel.
Mit den Werten aus den beiden Märkten oben lässt sich unser Diagramm nun ausfüllen und durch einfaches Multiplizieren erhalten wir auch die Wahrscheinlichkeiten auf die vier Fälle aufgeteilt. Damit kann man nun wieder zusammenrechnen was sich für die Wahrscheinlichkeit ohne Bedingung ergibt:
Moment mal! Diese Prozentzahl ist eine andere als oben: 39% vs 58%. Die Märkte sind also nicht konsistent. Irgendwo wird etwas falsch eingeschätzt. Das bietet die Möglichkeit zur Arbitrage, eine Möglichkeit Gewinn zu machen ohne Risiko. Da profitieren also ein paar clevere schnelle Leute und im Ausgleich bekommt die Allgemeinheit konsistentere Märkte.
(Ähnliches passiert zum Beispiel auf dem Geldmarkt, wo ein Tausch USD-EUR konsistent zu einem Tausch mit Umweg USD-CNY-EUR sein sollte.)
Ja und?
Was ist so interessant an “bedingten” Prognosemärkten? Sie liefern Feedback für die Entscheidungsfindung. Sollte ein Leser die türkische Staatsbürgerschaft haben und vor der Frage stehen Erdogan zu wählen oder nicht, die Folge gegen ihn zu stimmen würde Schwedens Chancen in die NATO aufgenommen zu werden von 39% auf 77% erhöhen.
Falls jemand zufällig ein 1Mio übrig hat und sie Robin Hanson für ein Experiment geben würde: CEO Märkte. Die Idee ist genau solche Doppelmärkte für die größten Firmen der Welt und ihre CEOs aufzumachen.
Falls Doug McMillon CEO von Walmart bleibt, was wird der Börsenkurs am Jahresende sein?
Falls Doug McMillon nicht CEO von Walmart bleibt, was wird der Börsenkurs am Jahresende sein?
Der Unterschied zwischen den beiden Preisen könnte die Entscheidungen von Aufsichtsräten beeinflussen. Mögliche Folgen könnten sein, dass CEOs versuchen die Märkte zu manipulieren, was aber vermutlich langfristig positiv wäre weil es mehr Geld ins Spiel bringt. Außerdem könnte es Klagen geben, wenn der Aufsichtsrat die Signale der Märkte missachtet. Kurz: Es wäre ein spannendes Experiment.
Leider wird es CEO Märkte in naher Zukunft wohl eher nicht geben (3%).
Das faszinierende an dieser Methode ist, dass es sich auf so viele Entscheidungen anwenden lässt. Wenn die Auswirkungen so komplex sind, dass es auf subjektive Meinungen hinausläuft, dann sind Prognosemärkte eine wunderbares Werkzeug um diese Meinungen zusammenzufassen. Ein paar Beispiele:
Wenn Lauterbach’s Cannabis-Legalisierung durch geht, haben wir dann bald weniger Drogenprobleme?
Wenn unsere Firma Produkt X entwickeln würde, wie sehr hebt das den Aktienkurs?
Wenn Florian Wirtz beim nächsten Spiel aufgestellt wird, gewinnt Bayer Leverkusen dann den Europapokal?
Wenn wir unser Frontend von Angular auf React umstellen, wie ist unsere Lead Time Metrik drei Monate später?
Wenn ich diesen Newsletter auf zweiwöchentlich reduzieren würde, wie viele Abonnenten hätte ich dann Ende des Jahres?
Ich würde so etwas gerade in der Politik gerne mehr sehen. Es ist viel schneller und genauer als Umfragen. Vielleicht etwas schwieriger zu verstehen, aber wenn man einmal drin ist, auch nicht komplizierter als eine Umfrage auszufüllen.
Dieser Artikel ist zu lang für den wöchentlichen Newsletter. Deswegen ist das nun eine Wochenend-Spezialausgabe. Am Mittwoch kommt die nächste reguläre Ausgabe.
Zufälligerweise hat mich Manifold heute per automatischer E-Mail (glaube ich zumindest 😅) darauf aufmerksam gemacht: Setzt Manifold bedingte Märkte dieses Jahr noch um? https://manifold.markets/ahalekelly/will-manifold-properly-support-cond